…oder: „dieBasis“ quo vadis?
Gastbeitrag von Chris Barth (Klartext RheinMain)
Die Partei „dieBasis“ hat am 20./21. Januar in Frankfurt am Main eine Aufstellungsversammlung für die anstehenden Europawahlen durchgeführt – schon zum zweiten Mal. Aus der letzten Aufstellungsversammlung im November 2023 ging zwar eine Kandidatenwahl hervor, welche allerdings aus formalen Gründen wiederholt werden musste… oder unter Druck „von oben“ wiederholt werden sollte? Je nachdem welchen „Basista“ (so nennen sich dieBasis-Mitglieder untereinander) man fragt, bekommt man eine andere Seite der gleichen Medaille geschildert. Unterm Strich war bei vielen Teilnehmern der zweiten Aufstellungsversammlung Misstrauen und Unmut genau darüber spür- und hörbar.
Die Erwartungshaltung an die eigene Partei, den eigenen Vorstand, die eigenen Kandidaten, die eigenen basisdemokratischen Prinzipien erscheint bei vielen „Basistas“ unerreichbar hoch. Zuweilen kam ich mir auf der Versammlung vor, als hätte mich jemand in den November 1993 zurück katapultiert. Damals war ich als Student und AStA-Vertreter Zeuge einer an den eigenen basisdemokratischen Ansprüchen fast scheiternden fzs-Gründung in Köln (fzs = „Freier Zusammenschluss von Studentenschaften“). Nur dass 1993 das mittlere Alter der (damals studentischen) Streithähne und -hennen ca. 23 und 2024 bei den „Basistas“ 55+ betragen haben dürfte.
Angesichts dieser Parallelen kommen mir wieder die Worte der Ex-Bundeskanzlerin (Ex-Mitglied einer ehemaligen DDR-Blockflötenpartei und mutmaßlich inoffizielle Ex-Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit) Angela Merkel in den Sinn. Diese hatte einst in einem Interview mit Günter Gaus ein „tiefes Misstrauen zu basisdemokratischen Gruppierungen“ geäußert, bei denen sie sich „nicht wohlgefühlt“ habe. „Warum?“, fragte Gaus damals. Eine gute Frage, auf die er eine überaus interessante Antwort erhielt: „Weil ich glaube, dass man in der politischen Arbeit auch zum Machbaren kommen muss und nicht zu lange sich im eigenen Diskutieren verlieren sollte. Also vielleicht habe ich da ein autoritäres Verhalten in mir.“
Bei der „Basis“ wird tatsächlich viel und gerne diskutiert, (auch natürliche) Autorität misstrauisch abgelehnt und zuweilen das Machbare aus den Augen verloren. Ist das schlimm? Vermutlich nicht, zeigt es doch, dass diese Partei es „anders machen möchte“ als die hierarchisch durchstrukturierten Delegiertenparteien der stromlinienförmigen Einheitsparteienfront.
Allerdings scheinen die „Basistas“ immer wieder und fast schon selbstzerstörerisch an den eigenen Idealen „Freiheit“, „Machtbegrenzung“, „Achtsamkeit“ und „Schwarmintelligenz“ zu scheitern. Wollte man das Verhalten einiger Teilnehmern der Frankfurter Aufstellungsversammlung im Lichte dieser „Ideale“ bewerten, könnte man dafür Adjektive wie hilflos, ohnmächtig, wütend, unbeherrscht, übergriffig, beleidigend, beleidigt, maßlos und kindisch verwenden. Wieso kindisch? Kennen Sie das Verhalten von sich zankenden Kindern im Sandkasten eines Kindergartens noch?
- Sandkastenfraktion eins: „Tante, Tante: die da drüben wollen unsere schöne Sandburg zerstören!“.
- Sandkastenfraktion zwei: „Tante, Tante: dass stimmt gar nicht. Wir wollen nur eine viel schönere Sandburg bauen und es ist einfach nicht genug Sand für alle da!“.
Genau so kamen mir die beiden „Fraktionen“ der Aufstellungsversammlung zuweilen vor. Die einen wollten die zweite Aufstellungsversammlung – wie dies Rechtsexperten des Bundesvorstandes nahegelegten – zügig durchführen und damit möglichst rechtsgültig und rechtzeitig vor der anstehenden Europawahl abschließen. Die anderen wollten mit allerlei geschäftsordnungstaktischen Kniffen die Aufstellungsversammlung zuerst stören, verzögern, dann vorzeitig beenden und schließlich irgendwie zu Gunsten „besser geeigneter Kandidaten“ umbiegen. Die Diskussionen und Emotionen kochten entsprechend hoch. Dies alles wirkte zuweilen befremdlich und für Außenstehende wie mich kaum nachvollziehbar. Bis, ja bis ich dann schließlich leicht genervt von den vielen Zwischenrufen und verbalen Schlägen unter die Gürtellinie in der „Sonderausgabe zum 4. ordentlichen Bundesparteitag“ unter dem Motto „Auf den Spuren der Wahrheit“ auf Seite 52 ff. nachlesen und lernen durfte, dass „dieBasis“ sich ihrer eigenen Unzulänglichkeiten durchaus bewusst ist und eben sehr offen damit umgeht. Man nimmt die eigenen Begrenzungen hin, weiß um die eigenen Baustellen und freut sich dann aber auch wieder lagerübergreifend herzlichst, wenn am Ende allen Streitens, Misstrauens, Wählens und Konsensierens doch ein tragfähiger Kompromiss erreicht werden konnte.
Warum man menschlich allerdings derartig aufeinander losgehen muss, erschloss sich mir nicht. Der eigentlich bundesweit bekannteste und damit auch erfolgversprechendste „Listenplatz-Eins-Kandidat“ David Claudio Siber war neben dem aktuellen Bundesvorstand Projektionsfläche für so mancherlei „Vorwurf“. Aber um dieses oder jenes richtig einschätzen zu können, fehlt mir ja vermutlich auch einfach das „parteitaktische Hintergrundwissen“ – was weiß ich schon von basisdemokratischer Parteiarbeit.
Nur so viel und wirklich ohne einigen besonders aufgeregten Teilnehmern zu nahe treten zu wollen: Die Heilung für so manche Verletzung, manche Ent-Täuschung, manches Trauma liegt meist nicht im Außen, sondern in einem selbst. Und noch eine Binsenweisheit lautet bekanntlich: 95% aller Konflikte sind Beziehungskonflikte und haben mit „der Sache“ nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wer Konflikte wirklich vermeiden, lösen oder endlich heilen möchte, kümmert sich ZUERST (am besten VOR einem Parteitag oder einer Aufstellungsversammlung) um die Beziehung zueinander und dann erst um „die Sache“. Man stellt dann relativ schnell fest, dass bei einer tragfähigen Beziehung, die zuvor unüberwindbar erscheinende „Sache“ auf einmal ganz klein und leichtfüßig daherkommt. Vielleicht nimmt der eine oder andere „Basista“ einmal an einem der Workshops teil, welche wir gemeinsam mit Dirk Hüther regelmäßig in Südhessen durchführen. Veränderung tut not – vor allem bei einem selbst, nicht wahr?
Listenkandidaten für die Europawahl von li. nach re.:
Dirk Gintzel, Michaele Kundermann, Isabel Graumann, Anton Körner
Für mein Wochenende mit „dieBasis“ bleibt noch übrig, der auf Platz eins gewählten Europawahlkandidatin Isabel Graumann (zweite von rechts), eine starke Krankenschwester und Hebamme aus Bayern, alles Gute zu wünschen. Europa hat Basisdemokratie, Machtbegrenzung und Freiheit dringend nötig. Oder wie ein anderer EU-Bürokratiekritiker gerne zu sagen pflegt: „Europa nicht den Leyen überlassen“.